Jungjournalist Ken Grothe zögert einen Moment bevor er auf Senden drückt und blickt für einen Moment nachdenklich aus dem Fenster. Hier von seinem Schreibtisch im 5. Stock seiner Altbauwohnung sehen die durch die Straße wieselnden Menschen ganz klein aus. Das einzige was sie von hier oben unterscheidet sind die unterschiedlich gefärbten und gemusterten Tshirts, die sie tragen, denkt er.
Sein Blick schweift zurück über den Bildschirm. "Ah Fuck!" Es war schon kurz vor 5. Er würde mindestens 15 Minuten mit dem Fahrrad zum Sportcenter brauchen, wo er mit Gernot zum Badminton verabredet ist. Schnell sendet er die Mail mit dem angehängten Artikel an seinen Redaktionsleiter ab, schmeißt Schläger und Sportsachen in eine Tasche und läuft los.
Später am abend setzt er sich noch ganz verschwitzt wieder an seinen Rechner. Er ist nervös, als er den Artikel schon online sieht. Sogar auf der Hauptseite, relativ weit oben. Aber klar. "Die jungen Leute lieben diese Texte, das sind einfache Klicks für unser Online-Blatt." hatte sein Redaktionsleiter beim letzten "Young-Magazine" Meeting gesagt. Und man hatte ihn ausgewählt, weil er praktisch alles über "Generation Y" gelesen hatte und schließlich gehörte er ja selbst dazu. Wer sollte also am ehsten wissen, was Menschen in seinem Alter antreibt.
50 km entfernt sitzt der 23-Jährige Musa Keruz und wirft kleine Steine in eine Metallwanne. In seinem Zelt hatte eine Familie versucht einen Topf Wasser über dem Toaster zu erhitzen, durch ein paar überschwappende Tropfen kam es dann zu einer starken Rauchentwicklung und das Gerät war völlig hinüber. Einige von den Freiwilligen kamen sofort rübergelaufen und forderten alle Bewohner mit wilden Armbewegungen auf, das Zelt zu verlassen. Jetzt sitzen sie hier und warten bis die Feueraufsicht den Toaster entfernt hat und grünes Licht gibt.
Aber Musa interessiert das alles nicht, er will gar nicht wieder ins Zelt. Um die Schwierigkeit seines Wurfspiels zu erhöhen, stellt er die Wanne jetzt etwas weiter weg. In viereinhalb Stunden darf er für 20 Minuten in den Computerraum, darauf freut er sich schon.
Als erstes schaut er in sein E-Mail-Postfach und ließt sich die Nachricht seines Cousins nocheinmal durch, die er vor 6 Tagen bekommen hatte. Er hatte bereits geantwortet, aber es könnte Wochen dauern, bis seine Tante mit den älteren Söhnen wieder in die Stadt fährt. Jetzt klickt er einfach nur so rum und landet auf einer deutschen Nachrichtenseite. Dort ist ein Artikel mit einem BIld, auf dem zwei Junge Menschen mit dem Cabrio in einen Sonnenuntergang fahren. Darauf hat man ein Fragezeichen montiert. Er versucht den Artikel zu lesen, doch sein Deutsch reicht lange nicht aus. Er versteht nur nur wenige Worte. Eine Frau mit einem Kind auf dem Arm tippt ihm auf die Schulter und gibt ihm zu verstehen, dass seine Zeit rum sei. Zurück im Zelt denkt Musa über seine Work-Life-Ballance nach.
Kilometer weiter sitzte ich am Schreibtisch meiner Mietswohnung und überlege, ob die Gegenüberstellung von Flüchtlingen und derartigem Popjournalismus nicht zu plakativ ist. Nur weil ich die Menschen aus dem 1. Stock betrachte, bin ich ihnen ja nicht unbedingt näher. Und auch habe ich mich noch nicht wirklich für Flüchtlinge eingesetzt. Warum also jetzt dieser direkte Vergleich?
Vielleicht instrumentalisiere ich hier auch eine Gruppe von Menschen. Aber nein, wer derart simple Verallgemeinerungen tätigt, der kann auch mit solch simplen Vergleichen konfrontiert werden. Ich überlege noch einen Moment lang, drücke dann aber auf abesenden.

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